Wie weiland Napoleon, so erlebten unsere beiden Balger gestern ihr Jass-Waterloo. Die motivierte Jass-Kavallerie der WidnAuer überrannte die Balger geradezu, wirbelte mit Schild (Schilta) und Schellen (Schälla), nutzte das Glück guter Karten, stachen von Oben (Oba aba) wie Wellington und unten (Una ufa) wie Blücher erbarmungslos zu – bis die Balger Kohorte geschlagen in ihr Zeltlager floh. Inzwischen steht es 7 zu 3!
Weder niedergeschlagen noch siegestrunken, aber müde krochen wir alle heute früh aus den Betten und Schlafsäcken. Der Himmel hatte sich einmal mehr verdunkelt und just beim Zusammenpacken öffneten sich die Schleusen des Himmels und Regen prasselte auf uns nieder. Nichts wie weg – ans Mittelmeer. Fünfhundert Kilometer weiter östlich soll es sowas wie Sonne und Wärme geben. Bei der Ausfahrt «Lourdes» schickten wir noch kurz ein paar Wetter-Wünsche an Bernadette und frassen dann Autobahn-Kilometer um -Kilometer. Mittags begnügten wir uns mit einem Sandwicht und das Auto lechzte nach Öl und AdBlue. Beides geben wir ihm gerne. Weiter geht’s fast fliegend nach Toulouse, der Heimatstadt von Airbus. Über 50'000 Menschen arbeiten in dieser europäischen Vorzeigefirma hier. Und wie bestellt, fliegt ein Airbus über uns den Flughafen an.
Unser Pilot und Co-Pilot waren heute einmal mehr verantwortlich für die Linienwahl. «Wohin fahren wir eigentlich?», meinte der Pilot plötzlich. «Was fragst du - wir haben doch gestern Perpignan abgemacht.» «Liegt das weiter weg als Sete, wenn wir dann in Richtung Marseille zurückfahren?» «Ja, sicher, was glaubst du denn!» «Dann sollten wir lieber Sete ansteuern, das liegt ja näher…». «Um’s Himmelsherrgottheiligenwillen – wenn ihr nur noch wisst, was ihr wollt.» Der scharfe Intellekt des Piloten ersparte uns ca. 160 km Umweg. Also dann, umplanen, neuen Zeltplatz suchen und Richtung Sete!
«Ich weiss nicht, wo die Hölle ist, aber den Eingang dazu kenn ich,» meinte einmal ein unbekannter Fremdenlegionär. Diesen Eingang, sprich das Ausbildungslager für die Fremdenlegion, passierten wir ebenfalls: Castel Naudary. Eher paradiesisch mutete uns die Region an, die wir dann erreichten: Languedoc-Roussillon und damit unser Ziel: Sete und das Mittelmeer. Und was erwartete uns da: Regen? Es wäre ein Albtraum – einer, wie ihn Fred hatte und den wir uns nun zu Gemüte zu führen:
Der Campingmensch
Beim homo campinus handelt es sich um eine besonders degenerierte Form menschenähnlicher Existenz, welche sich grob in zwei Unterarten aufteilen lässt. Während der homo campingbus noch Reste menschlicher Zivilisation auf vier Rädern mit sich führt, hat sich der homo campinus vollständig aufgegeben. Er haust in zeltähnlichen Unterständen und bewegt sich auf dem Niveau seiner Urahnen, welche vor zig Millionen Jahren die Savanne in Kleingruppen durchstreiften.
Man erkennt diese bedauernswerte Kreatur unschwer an ihrem schwerfälligen Gang, an der dürftigen Bekleidung, an den ungehobelten Manieren, an den wortähnlichen Lauten sowie an ihrem gelangweilten Gesamteindruck. Würde sie sich heutzutage in einen Zoo verirren, müsste unverzüglich der Wildhüter alarmiert und zur sofortigen Beseitigung des Übels aufgeboten werden. Noch sind wir nicht ganz an diesem Punkt angelangt.
Ein nächtlicher Albtraum hat mich aber daran erinnert, dass wir nicht mehr weit davon entfernt sind. Ich quäle mich nächtens durch eine endlos scheinende Szenerie. Auf dem Frühstückstisch bietet sich mir ein Bild des Grauens: Von Hand abgerissene Baguettestücke, Salamireste vom Vortag, Überbleibsel von foie gras an einer butterähnlichen Fettmasse, lauwarmer Nescafé in Pappbechern, ein verirrtes Glas Orangensaft, ein erloschener und nicht zu Ende gerauchter Cigarillo, eine zerknitterte Landkarte und weitere Schweinigeleien. Als dann Bernhard mit seinem butterverschmierten Messer in der Konfitüre vor mir herumstochert, erwache ich schweissgebadet und bin froh, dass es auf unserem echten Frühstückstisch ein wenig besser ausschaut. Nicht viel, aber immerhin.
So viel zu Freds Albtraum. Unser richtiger Albtraum erwartete uns in Sete – nein, nicht der Regen (noch nicht), sondern volle Camping-Plätze! Los ging das Telefonieren. Nur Absagen. Beim fünften Mal hats geklappt. Wir haben einen Platz! Sogar drei und können auswählen. Wir campieren wunderschön unter mächtigen Zypressen – und der Regen setzt auch noch kurz ein. Aber dann – Abendrot gut Wetterbot!
Bilder:
Vom Atlantik ans Mittelmeer - da kann ein Stossgebet für gutes Wetter nach Lourdes zu Bernadette nur helfen...

Vorbei wie im Fluge an Carcassons schöner Stadtmauer

Nach über sechs Stunden in Sete angekommen begrüsste uns ein leichter Regen beim Aufstellen des Zeltes... Aber der Zedernwald, unter dem wir campieren, entschädigt für vieles.

Abendrot gut Wetterbot - so hoffen wir also auf morgen...

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