Heute ist nichts mit philosophieren. Im Gegenteil, heute ist die Kondition gefordert. Zwei Berge gilt es zu überwinden, dazwischen liegt das Val Trebbia und Travo. Und das alles ohne Frühstück, ohne Kaffee. Die Agriturismo «La Cantinetta», respektive die daneben liegende Unterkunft vom greisen Marcello (!), bietet nur Wasser an, sonst gar nichts. Und misstrauisch mich anschauend, will er Bares auf die Hand. Daher entscheide ich mich, gleich nach dem Aufwachen abzumarschieren. Und Aufwachen ist ja bekanntlich früh bei mir.
Um Sechs gings einmal mehr in der Dunkelheit los, aber der zwanzigste Tag ohne Regen hatte schnell Erbarmen und das Morgenrot beleuchtete mir bald den Weg. Es geht gleich zur Sache! Der Aufstieg weckt die letzten schlafenden Geister und Glieder, vor allem, als ich vor einem Schild stehe mit «Accesso negato» - kein Durchgang. Ich muss aber durch und gehe auch durch und – stehe auf einem «Mondfeld», einem Acker mit Rucksack-grossen Klumpen, in «the middle of nowhere». Keine Wegmarkierung, kein erlösender Weg sichtbar auf der anderen Seite. Also muss mein Orientierungssinn her. Ich komme mir vor, wie damals mit Stefan auf dem Gletscher. Mit dem einzigen Unterschied, dass es hier nicht kalt und neblig, sondern heiss und hell ist, die Sicht gut, aber kein Weg in Sicht…
Mein Sinn für Himmelsrichtungen und ein Blick auf die App-Karte weist mich dann doch in die Richtung, in der ich, durchs Unterholz stapfend, den Wanderweg suche und wieder finde. Nun geht es auf und ab, auf und ab, auf und ab… Am Schluss dieses Auf und Ab stehe ich im Tal, in Travo und – endlich – in einem Bistro, wo ich meinen Kaffee bekomme, drei Stunden verspätet.
Gestärkt, mit Wasser versorgt trolle ich noch ein wenig durch das kleine Städtchen, bevor es wieder Auf geht und nur Auf, kein Ab mehr – dieses Mal auf fast 750 m hinauf. Und die Sonne wird stärker und ich schwächer… Dank Gly Coramin (keine Doping-Kontrolle in Sicht) schaffe ich auch diesen zweiten Berg und komme bei der Costa del Grillo (www.costadelgrillo.com) von Roberto gegen Mittag an.
Roberto kommt mir mit Bloom, natürlich bellende (wir werden aber bald Freunde) schon entgegen. Ein Endfünfziger, der vor zwanzig Jahren mit seiner Frau Tiziana ausgestiegen ist, Mailand und seinem Job (Informatiker) Ade gesagt und hier auf auf der Alp eine Trekking-Ranch (auf-) gebaut hat. Jedes Gebäude haben er und Tiziana selber erstellt oder ausgebaut. Aus den Pferdestallungen haben sie Schlafzimmer gemacht. In einem dieser sitze ich jetzt und schreibe.
Zuvor habe ich mit Roberto, Tiziana und ihrer Mutter feinstes Risotto genossen. Die beiden wohnten zuerst unten im Tal (was sie während der Wintermonate weiterhin tun) und haben das Val Trebbia vor zwanzig Jahren ausgesucht, weil es einerseits abgelegen und Mailand für Roberto doch schnell erreichbar war. Ausstieg auf Raten. Seinem Wunsch, ganz auszusteigen und ein Pferde-Trekking und Lavendel- und andere Produkte herzustellen und aufzubauen, hat dann Tiziana zugestimmt und sie sind hier rauf gezogen. Wunderschöne Aussicht, Ruhe, Selbstversorgung – ein Paradies. «Warte nur, bis es Nacht wird – die Milchstrasse ist atemberaubend.» Ich warte. Und schlafe etwas vor.

Den Hügel musst ich von hinten erwandern...

...und der Hügel (links) war die zweite Herausforderung. Unten Trevo, wo es endlich Kaffee gab.

Trevo mit der Trebbio - ein ärmliches Flüsschen.

Im Morgenlicht sind auch Ruinen schön...

Weniger schön Äcker, die den Wanderweg einfach verschluckt haben.

Da musst du erst Mal Tritt finden...

Die Azienda Costa del Grillo - mit den zu Schlafzimmern umgebauten Pferdeställen...(rechts aussen meines)

"Haupthaus"

An diesen Schopfs arbeitet Roberto noch...

Nach dem köstlichen Mittagessen - Tiziana mit Mutter. Bilder von der Milchstrasse müssen noch warten...;-)
Einfach schön.